Die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung war vor Corona hochaktuell und gesellschaftlich akzeptiert. Zur Erinnerung, die Gesundheits- und Pflegebeschäftigten gingen bei den Kollektivvertragsverhandlungen mit Unterstützung der Zivilbevölkerung für eine 35-Stundenwoche auf die Straße. Corona bescherte ihnen aller nur viel Applaus der Bevölkerung und einen „etwas sonderbaren KV-Abschluss“ mit einer marginalen Verkürzung ihrer Arbeitszeit – und das ohne Lohnausgleich.
Jetzt poppt in der Öffentlichkeit die Arbeitszeitdiskussion erneut auf – unannehmbar für die schwarz-türkise Nomenklatura. Beißreflexartig melden sich sofort Arbeitsminister Kocher und AMS-Chef Kopf zu Wort, um gegen generelle Arbeitszeitverkürzung Stimmung zu machen. Zwar muss man Teilzeitkräfte – wenn´s notwendig ist, mit Bestrafung – zur Vollzeit bringen, aber Arbeitszeitverkürzung ist angesichts des herrschenden Arbeitskräftemangels unmöglich! Das „AMS-Kopferl“ kann sich zumindest weniger Wochenstunden, aber ein höheres Pensionsalter vorstellen.
Haben Kopf/Kocher aber auch recht, wenn sie meinen Arbeitszeitverkürzung sei unmöglich und schade den ohnehin ausgelaugten Arbeitsmarkt? Statistisch gesehen sicher nicht. Denn laut Statistik Austria liegt beim österreichischen Gesamtarbeitsvolumen die durchschnittliche pro Kopf Arbeitszeit schon jetzt bei 30 Wochenstunden. Nur eben sehr ungleich verteilt: Einerseits, dass viele in Teilzeit und andere in Vollzeit oder gar mit Überstunden arbeiten müssen und anderseits zusätzlich ungerecht zwischen den Geschlechtern verteilt: Statistik Austria weißt bei den Frauen eine 49,6-prozentige und bei den Männer eine 11,6-prozentige Teilzeitzeitquote aus.
Eine gesetzliche 30-Stundenwoche bei gleichzeitiger pro-Kopf-Neuverteilung des Gesamtarbeitsvolumens verändert also noch nichts am Arbeitskräfte-Gesamtbedarf. Was sich verändert ist, dass viele Teilzeitkräfte zu Vollzeitler*innen werden und die Arbeitsbelastung der Einzelnen. Auch der von gewerkschaftlicher Seite geforderte volle Lohnausgleich ist kein wirkliches Hindernis.
Aus den verschiedensten Modellversuchen wissen wir, dass die Verkürzung der Wochenarbeitszeit nicht nur eine ausgeglichenere Work-Life-Balance bringt, sondern sich auch positiv auf Wohlbefinden und Gesundheit auswirkt. Teure Krankenstandstage werden deutlich weniger, die Kosten für Überstunden ebenso. Zusätzlich bringt die verbesserte Einkommenssituation der „neuen Vollzeitkräfte“ einen großen Kaufkraftschub. Außerdem berichten die diversen Modellunternehmen, dass sie augrund der attraktiveren Arbeitszeitmodelle wieder leichter ihren Personalbedarf abdecken können.
Bleibt abschließend die Frage warum sich Österreichs Gewerkschaften mit der Verkürzung der Arbeitszeit mit 38, 37 oder 35 Stunden die Woche herumquälen, wenn – zumindest rein rechnerisch – die 30-Stundenwoche bereits Normalzustand ist. Das extrem verdichte Leistungsniveau und die daraus jahrzehntelang vorenthaltene Produktivitätsgewinne verlangen eigentlich schon längst die 25- oder 20-Stundenwoche bei vollem Lohn- und Personalausgleich…
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