„Traumjob ErntehelferIn“

Viele der afrikanischen MigrantInnen, die über Lampedusa nach Europa kommen, arbeiten zu Hungerlöhnen in Kalabrien (Süditalien). Sie pflücken zu Tausenden Orangen und bekommen einen halben Euro für eine Kiste mit 22 Kilo geernteter Orangen – ergibt einen Monatslohn von maximal 200 Euro. Nach der Saison können sich etliche nicht einmal das Zugticket nach Apulien leisten, um zur Tomatenernte weiterzuwandern.

„Es ist kein Stand so hoch im Land, dass er nicht lebt von Bauernhand“ lautet der Schlachtruf der Tiroler JungbäuerInnen. Und tatsächlich zahlreiche – vor allem osteuropäische – ErntehelferInnen leben vom Einkommen auf „Österreichs Gemüsefarmen“. Hier scheint für die WanderarbeiterInnen ein Schlaraffenland zu sein. Für ihre Arbeit gibt es einen Kollektivvertrag – die zuständige Gewerkschaft „PRO-GE“ bewirbt ihn in der Bundeshauptstadt (Wien, Anm. UZ) auf Großplakatflächen: „Deine Gewerkschaft ist für Dich da! Dein Mindestlohn ist netto € 6,21h“

Anmerkung: Dieser „stolze Mindestlohn“ von brutto 1.266,23 Euro gilt für Niederösterreich. Tirols BäuerInnen geben sich um monatlich 100 Euro bescheidener und in Oberösterreich gibt es nochmals um 20 Euro weniger. Auf der aktuellen ÖGB-Agenda finden wir die Forderung nach einem Mindestlohn von 1.700 Euro.

Tirol: Grenzgängige Bauernschläue

Manch GemüsezüchterIn sind selbst die 1.163 Euro zu viel des Guten. Auf manch Lohnzetteln sind Abzugsposten für Kost und Logie und Arbeitsmaterialien neben Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge zu finden: „Mir hat ein Rumäne erzählt, dass ihm für die Gummis, mit denen die Jungzwiebeln zusammengebunden werden, drei Euro pro Monat abgezogen werden“, berichtet beispielsweise die Journalistin und Sprecherin der Initiative „Sezonieri“, Sónia Melo in der Tiroler Tageszeitung (10.7.2016).

Es geht noch schlimmer. 2013 protestierten beispielsweise ErntehelferInnen für Überstundenentgelte und Sonderzahlungen, die nicht ausbezahlt wurden. Ein Jahr später die nächste Aufregung: Ein Absamer Bauer soll die Lohnabrechnung kreativ gestaltet und zwei rumänische Erntehelfer sieben Tage in der Woche mit Überstunden und Arbeiten außerhalb ihres Vertrages beschäftigt haben. Die Entlohnung der „Lohnsklaverei“: zirka 660 Euro monatlich. Erst kürzlich wurde Einigung mit dem Gemüsebauern bekannt gegeben. Die zwei rumänischen Erntehelfer sollen 8.750 Euro bzw. 3.600 Euro nachbezahlt bekommen. Nur ein Bruchteil ihres vorenthaltenen Verdienstes, da laut Kollektivvertrag nur fehlende Leistungen der letzten drei Monate geltend gemacht werden können.

Und auch heuer wird ein ganz findiger Gemüsebauer geoutet. Mit über Jahre hinweg offizieller und zweiter „schwarz“ geführter Lohnlisten soll er Finanz und Sozialversicherung geprellt haben – immerhin mit einer kolportierten Schadenssumme von fünf Millionen Euro. Zusätzlich soll er nach Recherchen der Tiroler Tageszeitung den ErntehelferInnen teils bis zu monatlich 350 Stunden zum Teil ohne Überstunden- und Sonntagszuschläge arbeiten lassen haben. Bei Krankenständen oder Urlauben soll die Lohnentgeltfortzahlung überhaupt gestoppt worden sein.

Ende der Fahnenstange oder Spitze des Eisberges

Der Obmann der Tiroler Gemüsebauern, Josef Schirmer erklärt dazu, wenn alles stimmt, ist es eine schlimme Sache, aber es soll auch nichts durcheinander gebracht werden: Laut den vorliegenden Informationen wurden die Mitarbeiter gerecht entlohnt.

Gerecht? Selbst wenn für die Schwarzbeschäftigung der gleiche Netto-Stundenlohn, wie für die offiziellen Arbeitslohn bezahlt wurde, wurde damit aber auch die von den ErntehelferInnen erarbeitete Lohnsteuer gestohlen und deren erarbeitete Sozialversicherungsbeiträge der Sozialversicherung unterschlagen. Persönlich haben die die betroffenen SaisonarbeiterInnen dadurch ein geringeres Arbeitslosengeld und eine geringere Pensionsbemessung zu erwarten.

Das Ende der Fahnenstange? Wer weiß es, bauernschlau ist zumindest, dass in Tirol die gesetzliche Interessenvertretung der ErntehelferInnen, die Landarbeiterkammer, im Bürokomplex der Landwirtschaftskammer, der Interessenvertreter ihrer DienstgeberInnen angesiedelt ist.

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