
Unmut bis hin zur Verzweiflung herrscht in der Steiermark, in Tirol und in Wien. Kapitalorientierte Gesundheits- und Pflegeeinrichtungs-Anbieter:innen verabschieden sich vom “heimischen Gesundheitsmarkt”. Oliver Jonischkeit berichtet in einem Kommentar vom Wiener Anton Proksch Institut und “Die Arbeit” hat die Tiroler AK-Rätin Evi Kofler und den steirischen AK-Rat Wolfgang Schwab zur aktuellen Problematik befragt.
Interview für Die Arbeit Nr. 2/2025
Viele Gesundheits- und Pflegeangebote kommen von privaten Instituten: Aus sozialem Interesse, zur Unterstützung der öffentlichen Hand oder um aus dem “boomenden Gesundheitsmarkt“ Kapital zu schlagen?
Wolfgang: Jede Organisation muss im Detail betrachtet werden: wie ist sie international aufgestellt, was sind die Kernkompetenzen, welche langfristigen Kooperationen und Verträge bestehen und was sind die „wahren“ Unternehmensziele? Wenn das operative Geschäft und die Immobilien als unterschiedliche Betriebe geführt werden und die Immobilien mit deutlicher Gewinnabsicht an Anleger:innen verkauft werden, dann geht es vorrangig um Immobiliengeschäfte und nicht um das Betreiben kritischer sozialer Infrastruktur. Wie das ausgehen kann, zeigt das Pflegeheim „Rosengarten“ in Bad Sauerbrunn (Burgenland): Ende 2023 wurde Insolvenz angemeldet. Ein schäbiges und unethisches Business.
Evi: Ich würde gerne sagen, dass es sich um soziale Interessen und die Unterstützung der öffentlichen Hand handelt. Aber, anders als bei gemeinnützigen Einrichtungen, scheint gerade bei internationalen Instituten Gesundheit immer mehr zum Geschäftsmodell zu werden. Wir konnten hier in den letzten Jahren immer wieder den Weiterverkauf oder die Schließung von bestimmten Geschäftsbereichen beobachten. Eine Entwicklung, die deutlich macht, wie fatal es ist, wenn zentrale Bereiche der Daseinsvorsorge – wie Pflege und Betreuung – privaten Profitinteressen überlassen werden.
In der Steiermark schlägt gerade der Verkauf der Senecura hohe Wellen?
Wolfgang: Zum geplanten Verkauf gibt es wenig gesicherte Informationen. Die Heime werden derzeit uneingeschränkt weiter betrieben. Man sieht allerdings deutlich, wie abhängig sich die öffentliche Hand von privaten, gewinnorientierten Pflegeheimbetreibern gemacht hat. In der Steiermark werden derzeit mehr als die Hälfte aller Heime so geführt. Wie im Burgenland gibt es eine Abrechnung in Tagsätzen. Diese sind für öffentliche, gemeinnützige und gewinnorientierte Träger gleich hoch. Irgendwo wollen die Gewinnorientierten noch Geld herausschlagen, welches in den anderen Einrichtungen bei den Bewohner:innen und Beschäftigten eingesetzt wird. Für die Gesundheitsversorgung heißt das vor allem eines: Durch die Marktmacht der privaten Gewinnorientierten können sie jederzeit höhere Profite „erpressen“. Als Alternative bleibt, die Heime selbst zu betreiben oder zu schließen. Eine gefährliche Abhängigkeit.
In Innsbruck soll die VITALITY Seniorenresidenz im Veldidenapark saniert werden und die VAMED care nutzt die Gelegenheit, sich von der Einrichtung zu trennen?
Evi: Das überfallartige Vorgehen mit fehlenden Informationen sorgt für Unsicherheit. Das ist sowohl aus menschlicher, wie auch aus sozialer Sicht untragbar. Pflege ist kein Produkt, sondern lebt von Beziehung, Vertrauen und Beständigkeit – für die Bewohner:innen ebenso wie für deren Angehörige und Beschäftigte. Sein Zuhause aufzugeben bzw. aufgeben zu müssen, um ins Heim zu ziehen, ist alles andere als einfach. Möglichst nah am ursprünglichen Wohnort bleiben zu können, ist dabei ein wichtiger Faktor. Die gleiche Umgebung, bekannte Wege und Kontakt zu Familie und Freunden können sowohl den sozialen Rückzug verhindern, als auch die Mobilität erhalten.
Welche Alternativen seht Ihr?
Evi: Es braucht ein klares politisches Bekenntnis: Pflege und Betreuung dürfen nicht dem Markt überlassen werden! Sie sind eine gesellschaftliche Aufgabe. Investitionen in die Sicherung und den Ausbau des sozialen Netzes sind dringend notwendig. Wer hier spart, spart auf Kosten von Menschlichkeit und Würde. Das kränkelnde System braucht einen Vitaminboost mit längst überfälligen Veränderungen für die Mitarbeiter:innen im Gesundheits- und Sozialbereich. Arbeitszeitverkürzung, faire Entlohnung und verbesserte Arbeitsbedingungen sind die Grundlage für die Entlastung derer, die sich um Kranke bzw Pflegebedürftige kümmern.
Wolfgang: Das Gesundheitssystem muss öffentlich, bzw. von und in Zusammenarbeit
mit NGO’s betrieben werden. Öffentliche Gelder gehören in die solidarisch finanzierte Gesundheitsversorgung. Hier gibt es viel Erfahrung bei gemeinnützigen Trägern wie Caritas, Diakonie, Volkshilfe, und vielen mehr. Private Organisationen sollen ihre Dienstleistungen mit privater Finanzierung anbieten können. Es muss jedem klar sein, dass sie profit-optimiert agieren (z.B. hohe Kaiserschnittraten in Privatkliniken).

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