Rund um die Herbstlohnrunde, insbesondere zu den KV-Verhandlungen in der Sozialwirtschaft Österreichs (SWÖ), hat „Die Arbeit” Irene Mötzl (Betriebsrätin beim Wohnservice Wien) und Daniel Spiegl (Stv. BRV bei den Sozialen Diensten der Kapuziner (slw) und erweitertes GLB- Bundesvorstandsmitglied) interviewt.
Grundtenor: Es braucht deutlich höhere Gehälter und eine spürbare Arbeitszeitverkürzung, aber auch Mitbestimmung beim Ergebnis.
Wie ist die Stimmung in eurem Betrieb, bzw. was erwarten sich die Kolleg:innen von der heurigen Gehaltsrunde?
Irene: Die Kolleg:innen stehen im Arbeitsalltag zunehmend unter Druck. Viele aktuelle Krisenauswirkungen erschweren zusätzlich die Arbeit. Zudem leiden viele auch unter Teuerung und/oder unzureichenden Ressourcen im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich. Die Frage „Gehaltserhöhung“ ist deswegen sehr zentral: Als Notwendigkeit das eigene Leben zu finanzieren und als Ausdruck von Wertschätzung ihrer Arbeit. Das „Wohnservice Wien“ ist nicht im SWÖ-KV. Die Beratung der Wiener:innen rund ums Wohnen bzw. Unterstützung bei Nachbarschaftsthemen und sozialen Fragen von Gemeindebaubewohner:innen liegt aber nah an den Realitäten des Sozialbereichs.
Daniel: Die Erwartungen meiner Kolleg:innen sind nicht gerade euphorisch. Eine Auswirkung eines „ewig gleichen Zeremoniells” mit letztendlich einem von der Gewerkschaft hochgelobten Mini-Mini-Konsens. Der fragwürdige Corona-Abschluss wirkt zusätzlich demotivierend, die Stimmung im Betrieb ist daher leider ruhig.
GPA und vida verlangen zum Einstieg in die SWÖ-KV- Verhand- lungen 6,1 Prozent, ist das ausreichend?
Daniel: Die entscheidende Frage ist, was ist uns das ganze Gesundheits-, Sozial- und Betreuungssystem, also Kolleg:innen und Klient:innen, gesellschaftlich wert? Da sind wir mit 6,1 Prozent nicht annähernd dran. Sinnvoller erscheint mir die GLB-Forderung nach monatlich 500 Euro mehr für ALLE. Je geringer das Einkommen, desto fataler wirkt die Erhöhung von Miete, Energie und Lebenskosten. Ein Fixbetrag bei den Mindestlohnerhöhungen wirkt dem ent- gegen.
Irene: Die Arbeit ist systemrelevant und sehr fordernd. Die Gehälter im Sozialbereich sind viel zu niedrig. Das 6,1-Prozent-Plus ist viel zu gering. Ich halte die GLB-Forderung nach 500 Euro plus auf alle Grundgehälter in allen Berufsgruppen für sinnvoll und zwar für den gesamten Sozial- und Pflegebereich. Wären wir im SWÖ-KV würde ich für die Forderung nach 500€ plus eintreten.
Beim Forderungsprogramm findet sich auch die 35-Stunden- Woche wieder?
Irene: Im Sozialbereich ist es kaum noch machbar, langfristig Vollzeit zu arbeiten, weil die Arbeit viel zu anstrengend und verantwortungsvoll ist. Umso mehr, wenn man Kinder hat oder Angehörige betreut. Wir brauchen allerdings keine Modelle wie eine Freizeitoption oder eine reduzierte Wochenarbeitszeit, die auf Kosten notwendiger Gehaltserhöhungen geht. Eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich ist längst überfällig! Ich denke hier müssen wir uns auch außerhalb der Gewerkschaftsstrukturen organisieren um den Druck und auch die Kampfkraft aufzubauen.
Daniel: Ich befürchte, dass die Arbeitgeber:innen diese Forderungen sofort vom Tisch schmettern. Irene hat recht, es muss wieder Kampfkraft aufgebaut werden, da die Kolleg:innen auch von der Gewerkschaft enttäuscht sind. Zuerst hat man sie für die 35-Stunden-Woche mobilisiert, um dann in einer Nacht- und Nebel-Aktion einen Drei-Jahresabschluss mit einer einstündigen Arbeitszeitverkürzung ohne Gehaltsausgleich abzuschließen.
Irene: Eine weitere Gelegenheit ist übrigens der Internationale Feministische Kampftag. Die Initiative „Sozial aber nicht blöd“ ruft für den kommenden 8. März wieder zu betriebsübergreifenden Betriebsversammlungen bzw. Streiks auf. Der Kampf um die Rechte von Frauen*, gegen Rassismus und Gewalt ist eng verbunden mit dem Kampf um Löhne, Arbeitsbedingungen, Gesundheit, Bildung und Sozialem. Gerade im unterbezahlten Care-Sektor, in dem nach wie vor mehrheitlich Frauen arbeiten.
Urabstimmung: JA oder NEIN?
Daniel: Für mich ist die Urabstimmung das Um und Auf in einer gelebten Gewerkschaftsdemokratie. Die Urabstimmung gehört als Grundverständnis ins Statut und die Geschäftsordnungen der Gewerkschaften.
Irene: Ja, unbedingt, Top-Down-Politik funktioniert nicht, wo es die Kampfkraft aller Beschäftigten braucht! In unserem Betrieb diskutieren wir wichtige Entscheidungen, zum Beispiel Betriebsvereinbarungen, mit den Kolleg:innen und lassen das Ergebnis abstimmen. Ich finde es unverständlich, dass das bei den KV-Abschlüssen nicht so ist. Wir würden alle an Durchsetzungskraft gewinnen, wenn wir am besten vor einem Abschluss die betroffenen Kolleg:innen fragen, ob sie das Ergebnis annehmen oder weiter für Verbesserungen kämpfen wollen! Die gewerkschaftlichen Strukturen müssen dringend demokratisiert werden.
(Die Arbeit, Nr. 4/2024)
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